„Deine Mütter waren nicht schlecht“ – Exkurs zum Thema Übersetzung

Noch bis morgen früh um 4:00 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit sind die Filme des Japanese Film Festival Online 2024 in Deutschland zu sehen. Richtig toll, dass es auch deutsche Untertitel gibt! – Nun ja, wenn es da nicht ein paar Problemchen bei der Übersetzung gäbe …

Deutsche Untertitel für japanische Filme und Serien

Lange Zeit waren für japanische Filme und Serien häufig nur englische Untertitel online zu finden. Eine erfreuliche Entwicklung des digitalen Zeitalters ist es, dass es bei Online-Filmfestivals und Streaming-Diensten nun öfters auch Untertitel auf Deutsch und in weiteren Sprachen gibt.

Allerdings wird die Freude immer wieder einmal getrübt, wenn die Übersetzung in Teilen unverständlich ist und man nur noch Bahnhof versteht.

Hier meine letzte derartige Erfahrung: Beim Japanese Film Festival Online 2024 habe ich ein paar Filme mit deutschen Untertiteln gesehen.

Zunächst hat mich nur befremdet, dass die Personen sich in der deutschen Übersetzung duzen, obwohl im japanischen Original eindeutig höfliche Sprache zu hören ist und es auch überhaupt nicht zur Situation passt. Die japanische Sprache ist ja wesentlich differenzierter als westliche Sprachen, was die unterschiedlichen Höflichkeitsebenen angeht. Und man duzt sich nicht einfach so.

„Deine Mütter leben nicht mehr.“ – „Deine Mütter waren nicht schlecht.“

Gestern habe ich dann den (sehenswerten!) japanischen Film „The Lines That Define Me“ (Originaltitel:『線は、僕を描く』/『せんは、ぼくをえがく』, wortwörtlich ungefähr: „Die Linien malen mich“) aus dem Jahre 2022 gesehen.

An einer Stelle des Films betrachtet eine Jurorin bei einer Tuschemalerei-Ausstellung das Werk des Protagonisten der Geschichte, der bei einem Meister die japanische Kunst des Sumi-e (墨絵 / すみえ) erlernt und erstmalig ein Werk ausstellen darf. Sie kritisiert das Bild mit harschen Worten und meint schließlich (in der deutschen Untertitelung): „Deine Mütter leben nicht mehr.“ – Äh, wie bitte?! Im japanischen Ton habe ich nichts von Müttern gehört, seit wann hat der Protagonist mehrere Mütter und was hat das mit seinem Bild zu tun?! Ich grübele noch kurz, ob „Mütter“ vielleicht irgendein Fachwort sein könnte, wie zum Beispiel „Matrize“, und schaue den Film einfach weiter.

Circa 20 Minuten später im Film sagt der Meister aber zum Protagonisten laut der deutschen Untertitel: „Deine Mütter waren nicht schlecht.“ Jetzt verstehe ich wirklich nur noch Bahnhof, unterbreche den Film und schaue in die anderen Untertitelungen.

Ergebnis:

  • englische Untertitel: „Your mums weren’t bad.“
  • japanische Untertitel: „Warukunai kiku datta.“ (「悪くない菊だった。」/「わるくないきくだった。」).

Und schon hebt sich der Schleier der Unverständlichkeit: Die Erstellerin der deutschen Untertitel hat nicht aus dem Japanischen übersetzt, sondern aus dem Englischen und dann auch noch das Englische falsch verstanden, weil sie nicht auf den Kontext der dargestellten Situation geachtet hat.

Denn ein kurzer Blick in ein Online-Wörterbuch ergibt, dass im Englischen „mums“ nicht nur „Mütter“ bedeutet, sondern auch „Chrysanthemen“. Denn „mum“ ist im Englischen die umgangssprachliche Abkürzung für „chrysanthemum“.

Und so haben sich auf wunderbare Weise die auf der Tuschemalerei des Protagonisten dargestellten Chrysanthemen, Japanisch: kiku (菊 / きく), über den Umweg über das Englische in „Mütter“ in der deutschen Übersetzung verwandelt.

Die erste seltsame Stelle („Deine Mütter leben nicht mehr.“) lautet im japanischen Original übrigens: „Kono kiku wa ikitenai.“ (「この菊は生きてない。」/「このきくはいきてない。」), auf Deutsch ungefähr: „Diese Chrysanthemen sehen nicht lebendig aus.“

Und damit wird auch klar, weswegen in den deutschen Untertiteln so oft geduzt wird. Denn viele Deutsche denken beim englischen „you“ wegen des ähnlichen Klangs immer an „du“ statt an das wesentlich häufiger korrekte „Sie“ …

Billig, aber ungünstig: Übersetzungen aus dem Englischen

Auch Streaming-Plattformen nehmen wohl gerne bei den Übersetzungen den Umweg über das Englische.

Die Streaming-Plattform für asiatische Serien und Filme Rakuten Viki zum Beispiel lässt ihre Untertitelungen von Freiwilligen erstellen. Die Übersetzungen erfolgen in Teamarbeit. Zunächst wird aus der Originalsprache ins Englische übersetzt. Dann übersetzen andere Teams die englische Übersetzung in andere Sprachen. Dies erfolgt zudem abschnittsweise, was für den Streaming-Anbieter wahrscheinlich den Vorteil hat, dass die Übersetzenden keine Urheberrechtsansprüche geltend machen können.

Vorteile

Vorteil ist, dass nur die Personen, die ins Englische übersetzen, die asiatische Ausgangssprache (Japanisch, Koreanisch, Chinesisch etc.) beherrschen müssen, alle anderen Laien-Übersetzerinnen und -Übersetzer aber nur Englisch übersetzen können müssen. Und Englisch-Kenntnisse sind ja wesentlich verbreiteter als zum Beispiel Japanisch-Kenntnisse.

Nachteile

Nachteil ist aber, dass die Qualität zum Teil sehr leidet:

  • Zum einen werden alle Übersetzungsfehler der englischen Übersetzung in die anderen Sprachen übernommen.
  • Und zum anderen hat es Nachteile für die sprachliche Qualität der anderen Übersetzungen, insbesondere was die Idiomatik angeht.

Bei Übersetzungen aus dem Japanischen zum Beispiel besteht ein häufiger Übersetzungsfehler darin, dass die falschen Personalpronomen gewählt werden, da das Japanische ja zumeist keine Personalpronomen verwendet und man nur aus dem Kontext heraus versteht, um wen es geht: ich, du, er oder sie.

Übersetzungen aus dem Japanischen über das Englische sind billiger und schneller zu bekommen, weil es so viele Menschen gibt, die aus dem Englischen übersetzen können und dies zum Teil auch kostenlos tun. Aber sie führen zu keiner besonders guten Qualität oder sogar in Extremfällen, wie am „Mütter“-Beispiel zu sehen ist, zu völlig unverständlichen Übersetzungen.

Mein Fazit

Wünschenswert wäre, dass deutsche Übersetzungen direkt aus dem Japanischen von Profis erstellt werden.

Denn wenn deutsche Untertitel schlecht oder gar unverständlich sind, würde ich das gerne vorher wissen, um von vorne herein Untertitel in einer anderen Sprache wählen zu können.

Aber mir ist natürlich bewusst, dass mein Wunsch etwas hochgegriffen ist, wenn man bedenkt, dass wir viele Untertitelungen Personen zu verdanken haben, die als Freiwillige Übersetzungen kostenfrei anfertigen. In vielen Fällen wäre ein entsprechendes Untertitel-Angebot sonst einfach nicht möglich.

Insofern jammere ich hier auf hohem Niveau, verbuche die „Mütter“ als nette Anekdote und danke trotzdem allen, die sich bemühen, japanische Filme und Serien durch Untertitel einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

 

 

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