Karuta – Kartenspiel für den Neujahrstag

Letzte Beitragsänderung erfolgte am 12.09.2022.

So wie in Deutschland Bleigießen zum Silvester-Abend gehört, ist „Karuta“ (かるた) fester Bestandteil des Neujahrstags in japanischen Familien. Dieses Kartenspiel erfordert ein gutes Gedächtnis, flinke Augen und reaktionsschnelle Hände!

Der Spielname „Karuta“ (かるた; seltener in Kanji geschrieben: 歌留多、加留多、嘉留太、骨牌)leitet sich vom portugiesischen Wort „carta“, deutsch: „Karte“, ab. Japaner spielen es besonders gerne als Zeitvertreib an Neujahr. Aber es gibt auch Wettkampf-Karuta, japanisch: kyōgi karuta (競技かるた / きょうぎかるた), für das man allein oder in Clubs für Wettkämpfe trainiert.

Karuta-Grundregeln

Es gibt viele verschiedene Karuta-Varianten mit unterschiedlichen Spielkarten, aber die Grundidee ist immer ähnlich:

  • Man verwendet ein Karten-Set, das zur einen Hälfte aus sogenannten Lesekarten, japanisch: „yomifuda“ (読札 / よみふだ), und zur anderen Hälfte aus sogenannten Greifkarten (oder Feldkarten), japanisch: „torifuda“ (取り札 / とりふだ), besteht.
  • Die Greifkarten werden sichtbar vor den Spielern ausgelegt, während die Lesekarten von einem nicht einsehbaren Stapel gezogen werden.
  • Eine Person, die nicht mitspielt, übernimmt die Rolle des Vorlesers: Sie zieht eine Karte und liest vor, was auf dieser Karte steht.
  • Nun versucht jeder Spieler, als erster die zur vorgelesenen Karte passende Greifkarte zu finden und zu berühren. Diese Karte darf er dann an sich nehmen.
  • Danach liest der Vorleser wieder eine Lesekarte vor usf.
  • Wer am Ende die meisten Karten aufgehoben hat, gewinnt.

Ergänzender Hinweis

Mit „Karuta“ werden auch andere japanische Kartenspiele bezeichnet, wie zum Beispiel „Tenshō karuta“ (天正かるた / てんしょうかるた), „Unsun Karuta“ (うんすんカルタ / うんすんかるた), „Kabufuda“ (株札 / かぶふだ), „Hanafuda“ (花札 / はなふだ) etc.

Die hier beschriebenen Regeln beziehen sich auf die Gruppe der Karuta-Spiele, bei denen es Lese- und Greifkarten gibt.

Karuta-Sets: Spielkartenarten

Karuta-Sets können ganz unterschiedlichen Inhalts sein. Es gibt zum Beispiel:

„Uta-Garuta“ (歌ガルタ / うたがるた) oder auch: „Hyakunin Isshu Karuta“ (百人一首カルタ / ひゃく いっしゅかるた):

  • Beim beliebtesten „Uta-Garuta“-Set steht auf den Lesekarten jeweils eines der hundert Gedichte aus der Anthologie Ogura Hyakunin Isshu“ (小倉百人一首 / おぐらひゃくにん いっしゅ) sowie der Name des Dichters und eine Zeichnung, die ihn darstellt.
  • Die Greifkarten zeigen jeweils nur den zweiten Teil des Gedichts, d. h. die hinteren 14 Silben. Dieser hintere Gedichtteil wird auf Japanisch „shimo no ku“ (下の句 / しものく), auf Deutsch in der Literaturwissenschaft „Anschluss- oder Unterstollen“ genannt.

    Yomifuda und torifuda beim Hyakunin Isshu Karuta (Foto: ©2017 fduprel)
    Yomifuda und torifuda beim Hyakunin Isshu Karuta (Foto: © 2017 fduprel)
  • Dieses Karuta-Set wird auch für Wettkampf-Karuta, japanisch: „kyōgi karuta“ (競技かるた / きょうぎかるた), verwendet (siehe weiter unten).
Hyakunin Isshu Karuta (Foto: ©2017 fduprel)
Hyakunin-Isshu-Karuta-Set von Nintendo (Foto: © 2017 fduprel)

„Iroha-Garuta“ (いろはがるた):

  • Mit diesem Karuta-Set spielen schon kleine Kinder, denn jeder, der die Silbenschrift Hiragana beherrscht, kann mitspielen.
  • Auf den Greifkarten ist jeweils ein Hiragana-Zeichen in einer Ecke der Karte abgedruckt. Daneben zeigt die Karte eine Zeichnung, zum Beispiel von einem Tier, dessen Name mit dem abgebildeten Hiragana beginnt.
  • Die Lesekarten enthalten jeweils ein Sprichwort oder einen Hinweis zur Zeichnung, dessen erste Silbe dem Hiragana auf der passenden Greifkarte entspricht. Auf den drei traditionellen Sets, „Kamigata“, „Edo“ und „Owari“, finden sich Sprichwörter.
  • Kleinere Kinder können damit das Hiragana-Silbenalphabet lernen oder üben, da sie anfangs die richtige Karte auch anhand der Zeichnung auf der Karte finden können.

„Obake-Karuta“ (お化けカルタ / おばけかるた) oder auch „Yōkai-Karuta“ (妖怪かるた / ようかいかるた):

  • Yomifuda und torifuda eines Yōkai-Karuta-Sets von Komineshoten (Foto: ©2017 fduprel)
    Yomifuda und torifuda eines Yōkai-Karuta-Sets (Foto: © 2017 fduprel)

    Die Greifkarten zeigen jeweils ein Wesen (Monster, Geist oder Kobold) aus dem japanischen Volksglauben sowie eine japanische Silbe in Hiragana-Schrift. Auf der Rückseite stehen häufig Informationen zu den abgebildeten Wesen, zum Beispiel über sein Aussehen, die Gegend, in der es lebt, sowie sein Tun und Treiben.

  • Auf den Lesekarten steht ein Hinweis auf das jeweilige Monster, den jeweiligen Geist oder Kobold. Dabei beginnt der Hinweistext jeweils mit dem Hiragana, das auf der zugehörigen Greifkarte steht. Somit können die Spieler sich auch an den abgedruckten Hiragana orientieren, was dieses Karuta-Set zu einer Abwandlung des „Iroha-Karuta“-Sets macht.
Yōkai-Karuta (Foto: ©2017 fduprel)
Yōkai-Karuta-Set von Komineshoten (Foto: © 2017 fduprel)

Wettkampf-Karuta

Karuta wird seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Japan auch als Wettkampfspiel betrieben. Anfang des 20. Jahrhunderts vereinheitlichte man die Regeln für Wettkampf-Karuta, japanisch: „kyōgi karuta“ (競技かるた / きょうぎかるた). 1904 fand das erste offizielle Turnier statt. Im September 2012 gab es übrigens das erste internationale Karuta-Turnier mit Spielern aus den USA, China, Süd-Korea, Neuseeland und Thailand.

Für Wettkampf-Karuta verwendet man das Set „Hyakunin Isshu Karuta“ (siehe oben). Der Vorleser liest die ersten Zeilen des Gedichts vor. Die Spieler versuchen, so schnell wie möglich die zugehörige Greifkarte zu berühren. Dazu berühren sie die Karte oder wischen sie weg.

Wie läuft ein Wettkampf-Karuta-Turnier ab?

Vorbereitungsphase

  • Es spielen immer zwei Spieler gegeneinander. Sie sitzen einander auf dem Boden kniend gegenüber.
    (Es gibt auch Turniere, in denen Teams mit fünf bis acht Spielern gegeneinander antreten. Aber auch in diesem Fall spielt immer ein Spieler aus dem einen Team gegen einen Spieler aus dem anderen Team.)
  • Es wird mit 50 zufällig ausgewählten Greifkarten des insgesamt 100 Greifkarten umfassenden Karuta-Sets gespielt.
  • Der Vorleser hingegen hat das gesamte Set der 100 Lesekarten in seinem Stapel. Von diesen Lesekarten sind also nur die Hälfte solche mit Entsprechung bei den Greifkarten. Die andere Hälfte der Lesekarten stellt sogenannte „karafuda“ (空札 / からふだ), zu Deutsch: „leeren Karten“, dar. Das heißt auf diesen Karten stehen Gedichte, zu denen die Spieler keine Greifkarte vor sich haben.
  • Jeder Spieler nimmt sich eine Hälfte der 50 Greifkarten (ohne sie zu sehen) und legt seine 25 Karten offen sichtbar in drei Reihen vor sich auf den Boden. Wie er die Karten innerhalb dieser drei Reihen platziert, ist ihm (und seiner eigenen Strategie) frei überlassen. Der zulässige Kartenlege-Bereich vor jedem Spieler ist 87 cm breit und hält vom Kartenbereich oder „Feld“ des Gegners 3 cm Abstand. Das eigene Feld nennt man „jijin“ (自陣 / じじん), das Feld des Gegners „tekijin“ (敵陣 / てきじん).

    Schema kyōgi karuta (Autor: IllDepence. Diese Datei steht unter der Lizenz "Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license": https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en)
    Schema kyōgi karuta (Autor: IllDepence. Diese Datei steht unter der Lizenz „Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license“: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en)
  • Die Spieler dürfen sich die Position der Karten 15 Minuten lang einprägen und sich während der letzten zwei Minuten kurz aufwärmen, indem sie ihre Kartengreif- bzw. -wischbewegungen üben.
  • Der Vorleser liest nun zunächst ein Gedicht, das nicht zum Spiel gehört. Ziel ist, dass sich die Spieler erst einmal an seine Stimme gewöhnen.

Spielphase

  • Daraufhin liest der Vorleser, japanisch:  „yomite“ (読み手 / よみて), eine der hundert Lesekarten vor. (Das Rezitieren geschieht in einem typischen Singsang.)
  • Die Spieler versuchen, so schnell wie möglich die zugehörige Greifkarte zu berühren. Dazu legen sie ihre Finger auf die Karte oder schnippen sie weg. (Wenn sie dabei Karten mit wegwischen, die im Bereich um die richtige Karte herum liegen, stellt das keinen Fehler dar.)
  • Wenn ein Spieler eine Karte aus dem Bereich/Feld des Gegenspielers erwischt, darf er zudem eine eigene Karte in den Bereich des Gegenspielers legen.
  • Als Fehler, „otetsuki“ (お手付き / おてつき), gilt, wenn ein Spieler eine Karte wegwischt, die nicht im Bereich der gesuchten Karte liegt, oder wenn er eine Karte berührt, obwohl die rezitierte Lesekarte eine „karafuda“ (空札 / からふだ) (siehe weiter oben) ist. In diesem Fall darf der Gegner dem Spieler ebenfalls eine seiner Karten ins Feld legen.
  • Gewinner ist, wer als erster keine Karten mehr vor sich in seinem Bereich liegen hat – sei es, dass er diese Karten gewonnen hat oder in den Bereich des Gegners legen durfte.

Welche Grade und Meisterschaften gibt es beim kyōgi karuta?

Im Wettkampf-Karuta kann man folgende Klassen und Grade (Dan) erreichen:

  • E-Klasse: Anfänger
  • D-Klasse: Mittelstufe
  • C-Klasse: 1. Dan
  • B-Klasse: 2. und 3. Dan
  • A-Klasse: 4. Dan und höher
  • Der höchste Titel, den man bei den Landesmeisterschaften erringen kann, ist für Männer „Meijin“ (名人 / めいじん), d. h. Großmeister, und für Frauen „Queen“ (クイーン / くいいん), deutsch: Königin.

Es gibt jährlich 50 offizielle Meisterschaften. Die Landesmeisterschaften finden im Ōmi -Schrein (近江神宮 / おうみじんぐう) in Ōtsu-shi (大津市 / おおつし) statt.

Welche Fähigkeiten muss man für Wettkampf-Karuta mitbringen?

Wettkampf-Karuta verlangt den Spielern einiges ab:

  • Gedächtnisleistung:
    • Die Spieler kennen die hundert Gedichte alle auswendig (!) – oder zumindest jeweils die Anfänge von Ober- und Unterstollen jedes Gedichts.
    • Zudem sind sie in der Lage, viele Gedichte bereits anhand der ersten oder der ersten beiden Silben zu erkennen. – Die Silbe, anhand derer man ein Gedicht eindeutig identifizieren kann, nennt man übrigens „kimariji“ (決まり字 / きまりじ). Bei sieben der 100 Gedichte ist bereits die erste Silbe ein „kimariji“, sodass der Spieler beim Hören dieser ersten Silbe nach der Karte greifen kann. Bei anderen Gedichten muss er bis zur zweiten, dritten, vierten, fünften oder gar sechsten Silbe warten, bis er eindeutig weiß, um welches Gedicht es sich handelt.
    • Die Spieler müssen sich bei jedem Durchgang die Position der Karten im eigenen und im gegnerischen Feld in kurzer Zeit einprägen.
  • Körpereinsatz und Schnelligkeit: Die Spieler müssen körperlich fit und reaktionsschnell sein. Es geht zum Teil um eine hundertstel Sekunde! Das Spiel gleicht mehr einer Sportveranstaltung als zum Beispiel einem deutschen Skat-Turnier.
  • Konzentrationsfähigkeit: Gerade weil das Spiel so schnell ist, müssen die Spieler immer hochkonzentriert sein.
  • Strategisches Denken: Wie man die Karten am besten vor sich auslegt, ist eine Wissenschaft für sich. Ziel ist es, sich die Karten gut einprägen zu können. Zugleich versucht man, es dem Gegner durch die Position der Karten schwer zu machen, sich die Karten einzuprägen.

„Chihayafuru“: kyōgi karuta in Manga, Anime und Film

Der Manga „Chihayafuru“ (『ちはやふる』) von Suetsugu Yuki (末次由紀 / すえつぐ ゆき) hat Wettkampf-Karuta in Japan einen großen Popularitätsschub beschert. Die Geschichte wurde auch als Anime (Oktober 2011–März 2012) und Real-Film-Trilogie (Teil 1 und Teil 2: 2016, Teil 3: 2018) verfilmt. (Mehr zur Film-Trilogie in meinen kommenden Filmkritiken.)

Medientipps

Buchtipp

  • 吉海直人: „小学生おもしろ学習シリーズ まんが: 百人一首大辞典“ (japanisch), Verlag: Seitosha 2015. ISBN 978-4-7916-2343-3: Dieses Buch für Kinder stellt alle Gedichte der Anthologie „Hyakunin Isshu“ (百人一首 / ひゃく いっしゅ) vor und erläutert den Inhalt jedes Gedichts in Form eines Manga. Auf der Verlagsseite findet ihr Beispielseiten. Der Titel ist unter anderem über amazon.co.jp erhältlich.

Karuta-Sets

  • Hyakunin-Isshu-Karuta-Set: 任天堂 百人一首 舞扇. Verlag: Nintendo (任天堂) 2015. Das Kartenset ist unter anderem über amazon.co.jp erhältlich.
  • Yōkai-Karuta-Set: 千葉 幹夫 (著) / 石黒 亜矢子 (イラスト): 妖怪かるた. Verlag: Komineshoten (小峰書店) 2016. ISBN 978-4-338-01048-1. Zum Beispiel über amazon.co.jp erhältlich.

Links/Quellen

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