Buchtipp: „Kawaii Mania“ von Andreas Neuenkirchen

 

Sucht ihr nach einem Last-Minute-Weihnachtsgeschenk für Japan-Begeisterte? Oder erwartet ihr selbst einen Buchgutschein als Geschenk? Dann habe ich hier einen Tipp für alle Fans der japanischen Popkultur!

Japan und die niedlichen Dinge

Man muss nicht nach Japan reisen, um zu wissen, dass niedliche Dinge dort eine große Bedeutung haben. Denn niedliche Elemente der japanischen Popkultur haben über Manga, Anime, Computerspiele, Kleidung und Accessoires schon lange ihren Weg auch nach Deutschland gefunden.

Egal, ob man mit den Telleraugen-Figuren der Zeichentrickserie „Heidi“ groß geworden ist, in der Spielzeugabteilung über den Stand mit „Hello Kitty“-Artikeln stolpert oder zu der Generation gehört, die mit japanischen Manga statt mit belgischen oder amerikanischen Comics groß geworden ist: Eine Grundvorstellung von japanischer Niedlichkeit dürfte fast jeder in Deutschland haben. Auch wenn sicher noch nicht jeder den Begriff „kawaii“ (かわいい), japanisch für „niedlich, süß, goldig“, gehört hat.

Einen wirklichen Eindruck davon, dass niedliche Dinge in Japan einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland haben, erhielt ich jedoch erst bei meiner ersten Japanreise. Vor mir lief eine japanische Dame mittleren Alters im eher strengen Businesskostüm. Als es in ihrer Handtasche klingelte, holte sie daraus ein Smartphone hervor. Und dieses steckte überraschenderweise in einer Plastikhülle im Mickey-Mouse-Design mit Ohren! Niedliche, für den deutschen Geschmack eher kindische Objekte sind in Japan also nicht nur Kindern und Teenagern vorbehalten. Sie finden ihre Käuferschaft vielmehr über alle Generationen und soziale Schichten hinweg.

Bitte merken: zwei wichtige Ausrufe im Japanischen

Und wer nach Japan reist, sollte unbedingt folgende zwei Ausrufe der Begeisterung kennen, verstehen und ab und an selbst gebrauchen:

  • „kirei“ (きれい), das mit einem langen End-e ausgesprochen wird („kireh“) und zu Deutsch „schön“ bedeutet; dieses Wort hört man vor allem zur Kirschblütenzeit allenthalben, sowie
  • „kawaii“ (かわいい), das mit einem langen End-i ausgesprochen wird („kawaiih“) und auf Deutsch „niedlich, süß, goldig“, aber auch „liebenswert, entzückend“ bedeutet; dieses Adjektiv kann man ebenfalls oft anbringen, weil es so viele niedliche Kinder und Dinge in Japan gibt. (Achtung: Das in traurigem Tonfall ausgesprochene „kawaisou“ (かわいそう) (langes End-o: „kawaisoh“) hat hingegen die Bedeutung von „bemitleidenswert, bedauernswert“.)

Neuer Buchtitel „Kawaii Mania“ von Andreas Neuenkirchen

Der in Japan lebende Autor Andreas Neuenkirchen hat nun ein ganzes Buch dem Phänomen des Niedlichen in der japanischen Kultur gewidmet. In „Kawaii Mania – Japans niedliche Abgründe“ beschreibt er umfassend, welche Auswüchse die Niedlichkeitsästhetik in der japanischen Kultur zum Teil annimmt.

Nach einem Abriss der Geschichte des Niedlichen in Japan wendet er sich verschiedenen Extrem- wie auch Alltagsphänomenen von „kawaii“ zu: (vordergründig) niedliche Maskottchen, die süße Figur Hello Kitty und ihre Konkurrenten, Mädchen als Quelle und Konsumentinnen des Niedlichen, die Kultur des Niedlichen in Musik, Mode, Kunst, Manga, Spielzeug, Games, Essen etc. pp.

Neben den Haupttexten und vielen Fotos hält der Autor in Infokästen zentrale Informationen oder besonders Außergewöhnliches als „Kawaii-Superhit“ oder „Kawaii-Insiderwissen“ fest. Am Ende des Buches findet sich ein „KAWAIIglossar“, in dem man spezielle japanische Begriffe aus dem Universum der Niedlichkeitspopkultur nachschlagen kann.

Pluspunkte von „Kawaii Mania“

  • Informationsdichte: Dank „Kawaii Mania“ erfährt jeder Fan der japanischen Populärkultur noch etwas Neues und Erstaunliches.
  • Schreibstil: Der Autor schreibt in einem lockeren, ironisch-belustigten Stil, der sich angenehm und leicht liest. Der Text liest sich so, als würde der Autor einem Freund oder einer Freundin sein Wissen, seine Erlebnisse und Recherchen zum Thema in einem persönlichen Gespräch erzählen.
  • Autorhaltung zum Thema: Im Gegensatz zu vielen deutschen Artikeln über japanische Eigenheiten, die eher eine Haltung à la „Die spinnen, die Japaner“ an den Tag legen und sich mokieren, spürt man in jedem Satz, dass der Autor die kawaii-Kultur samt aller Auswüchse irgendwie liebt – auch wenn er versucht, schmunzelnde, ironisch-kritische Distanz zu wahren, und auch das Problem der Verharmlosung durch Verniedlichung nicht verschweigt.
  • Authentizität: Der Autor lebt mit seiner japanischen Frau und der gemeinsamen Tochter seit 2016 in Japan. Er kennt den japanischen Alltag, aber auch die Subkulturen der japanischen Populärkultur aus seinem eigenen Erleben. Er webt in sein Buch viele persönliche Erlebnisse ein. Seine unterschiedlichen Rollen als Deutscher in Japan, als Gamer und als Vater eines kleinen Kindes erlauben ihm Perspektivwechsel.

Minuspunkte

Ich halte „Kawaii Mania“ jedoch nicht für ein Buch, das für jedermann geeignet wäre:

  • Ironie: Der lockere, ironische Stil macht das Buch zwar zu einer angenehmen Lektüre, aber der Leser oder die Leserin benötigt etwas Hintergrundwissen zur japanischen Popkultur, um ironische oder lustige Bemerkungen als solche zu verstehen. Man muss zum Beispiel den Hit „PPAP (Pen Pineapple Apple Pen)“ von Kosaka Daimaō (古坂大魔王 / こさかだいまおう) kennen, um folgende Anspielung auf Seite 21 als Witz zu verstehen: „Ein altes japanisches Sprichwort besagt: Hast du eine Ananas und einen Stift, hast du einen Ananasstift.“ – Also, falls ihr vorhabt, eure Eltern oder Freunde, die mit Japan bisher nichts anzufangen wissen, mit eurer Begeisterung anzustecken, dann ist dieses Buch nicht die erste Wahl. „Kawaii Mania“ ist kein Buch für Einsteiger!
  • Schreibstil: Wer ein rein sachlich-informatives Faktenbuch sucht, wird sich bei „Kawaii Mania“ am saloppen, manchmal zu saloppen Plauderton stoßen. Auch mag der Humor des Autors eventuell nicht jedermanns Sache zu sein.
  • Inhalt: Zudem wird es mancher vielleicht als störend empfinden, dass der Autor sich nicht ganz sauber eingegrenzt an sein Thema „kawaii“ hält. Denn in manchen Kapiteln zählt er einiges auf, was zwar zur japanischen Popkultur, aber nicht wirklich zum Bereich des Niedlichen gehört. (Zum Beispiel ist für mich nicht jeder Manga Tezukas „kawaii“.) Allerdings muss man dem Autor natürlich zugestehen, dass die Übergänge fließend sind.

Mein persönliches Fazit

„Kawaii Mania“ ist meiner Ansicht nach eine Bereicherung für die Buchsammlung aller Fans der japanischen Populärkultur. Für diese Lesergruppe also eine klare Lektüreempfehlung!

Es ist aber eher kein Buch für Einsteiger in die Materie. Denjenigen, die unsicher sind, ob die Lektüre etwas für sie ist, empfehle ich, einen Blick in das Buch in einer Buchhandlung oder in die Probeseiten (PDF) auf der Verlagsseite zu werfen.

Literaturhinweise/Links

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