Opernkritik: „Rette uns, Okichi!“ (Neuköllner Oper, Berlin)

Letzte Beitragsänderung erfolgte am 29.07.2021.

Eine japanische Oper mit Plüschtieren an der Neuköllner Oper in Berlin?! – Ich habe „Rette uns, Okichi!“ am 25. November 2017 gesehen und war von der unkonventionellen Inszenierung begeistert! Weitere Vorstellungen gibt es noch im Januar 2018, also nicht verpassen!

Fröhlich winken mir beim Eintreten drei Plüschfiguren zu. Ihre Erscheinung ist dem jeweiligen Schauspieler angepasst, deren Kostüme allein für sich schon einen deutlichen Kontrast zu dem bieten, was man erwarten könnte, wenn man sich nur die offiziellen Fotografien auf der Internetseite der Neuköllner Oper angesehen hat. Diese lassen nämlich auf eine Oper ganz im klassischen Stil schließen. Ganz falsch ist das jedoch auch nicht.

Zum Hintergrund der Oper

Die 1920 von Yamada Kōsaku (山田 耕筰 / やまだ こうさく) komponierte Oper „Kurofune“ (黒船 / くろふね) – zu Deutsch „Die Schwarzen Schiffe“ –, die erst 1940 in Tokio uraufgeführt wurde, erhält unter der Inszenierung von Sugao Tomo (菅尾 友 / すがお とも) nicht nur den neuen Namen „Rette uns, Okichi!“. Auch in der Darstellung wird auf einen Kontrast zwischen Elementen aus dem Ursprungswerk und modernen Ausdrucksformen gesetzt.

„Rette uns, Okichi!“ an der Neuköllner Oper

Bereits beim Warten auf den Einlass in die Räumlichkeiten der kleinen Studiobühne lässt sich an der Tür ein Warnhinweisschild lesen, welches auf den Einsatz von intensiven Lichteffekten während der Aufführung hinweist.

Die Bühne selbst überrascht mit ihrem Aufbau: Ähnlich einem Laufsteg sind rechts und links von ihr die Sitzplätze angebracht, auf denen schätzungsweise etwa kaum 50 Besucher Platz finden könnten. Zum Ausgang hin erstreckt sich ein hoher Fahnenmast auf dieser Seite, auf der anderen steht eine Papierwand, links davon ein Klavier, rechts findet sich eine traditionelle japanische Shō (笙 / しょう), eine kleine Orgel, die mit dem Mund angeblasen wird.

Zum Inhalt

Mizobuchi Yuri als Okichi in "Rette uns, Okichi!"
Mizobuchi Yuri als Okichi in „Rette uns, Okichi!“ (Foto: © 2017 Neuköllner Oper; Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Neuköllner Oper)

Sängerin Mizobuchi Yuri (みぞぶち ゆり), welche Okichi spielt, holt den Zuschauer zunächst noch mit einer kurzen Einführung in der Moderne ab, bevor wir dann ins Japan des 19. Jahrhunderts hineingezogen werden: in die Zeit, in der die zweihundertjährige Herrschaft der Shōgune ihr Ende finden soll.

Ein amerikanischer Konsul, gespielt von Edwin Cotton, ist gerade mit einem der schwarzen Schiffe eingetroffen, um Japan zu Handelsabkommen mit den USA zu überreden. Tobias Hagge spielt den Samurai, der ihn empfängt und ihm Okichi als Geisha darbietet.

Diese ist davon zunächst ebenso wenig begeistert, wie von den geheimen Plänen des Samurais: Ausgerechnet sie soll nämlich den Konsul ungesehen ermorden und so Japan vor den USA retten. Während Okichi, zerrissen zwischen ihrem Unwillen, zur Mörderin gemacht zu werden, und der Angst vor dem Samurai so viel Zeit wie möglich schindet, kommen zu allem Überfluss Liebesgefühle mit ins Spiel, ehe die Handlung ihren dramatischen Höhepunkt findet.

Für die Geschichtsinteressierten bietet das Stück am Ende noch einen Überblick über die historischen Ereignisse von der Entstehung des Stücks bis zur ganz aktuellen Neuzeit. Dieser wird über den Zuschauerköpfen dort an die Wand geworfen, wo zuvor noch Übersetzungen einzelner japanischer und englischer Testpassagen eingebendet wurden. – Ein letzter Einsatz der bis zum Schluss gezielt und durchdacht verwendeten technischen Möglichkeiten der Studiobühne.

Zur Musik: nah am Original

Nicht nur von der Handlung her, auch musikalisch bleibt das Stück seinem Original treu: Die Einflüsse, die Yamada Kōsaku während seines Kompositionsstudium in Berlin, unter anderem bei Max Bruch, gesammelt hat, hört man dem Stück an und werden von allen drei Protagonisten gesangstechnisch überzeugend umgesetzt.

Zur Inszenierung: akrobatischer Körpereinsatz

Tobias Hagge, Edwin Cotton, Yuri Mizobuchi in "Rette uns, Okichi!"
Tobias Hagge, Edwin Cotton, Yuri Mizobuchi in „Rette uns, Okichi!“ (Foto: © 2017 Neuköllner Oper; Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Neuköllner Oper)

Umso faszinierender wirkt dabei die schauspielerische Umsetzung, bei der unter Tische gekrochen und auf dem Fahnenmast herumgeklettert wird und dramatische Kampfszenen fast schon in Zeitlupe dargestellt werden – all dies mit energiegeladenem Körpereinsatz und überzeugend dargestellten Emotionen.

So gab Okichi in einem Moment ausgewählten Zuschauern, darunter meinem Sitznachbarn, jeweils einen Teil eines zusammengeknüpften Stoffbandes in die Hand. Dabei vermochte sie allein mit ihrem Blick und einer kurzen Geste zu vermitteln, dass vom Halten dieses Bandes womöglich ihr Leben abhängt. Kein Zuschauer verweigerte sich ihrer wortlosen Aufforderung. Auf diese Weise wurde das Band kurzerhand zu einem die Bühne überspannenden Geflecht, das die verworrene Situation der Hauptcharaktere darstellte, die sich nun um das neu entstandene Bühnenbild herum zu bewegen hatten.

Zur Ausstattung: Provokation oder Geldmangel?

Auch Kostüme und Requisiten stehen im klaren Kontrast zu dem – den kleinen Raum ganz einnehmenden – Operngesang mit führender Klavier- und Akzente setzender Shō-Begleitung. Zwischen Kinderspielzeugen zur Seifenblasenherstellung, die als Ersatz für Schwerter (Katana) genutzt werden, und Kleidungsstücken, die stilistisch so uneinheitlich zusammengewürfelt sind, dass böse Zungen auf Fundstücke aus der Altkleidersammlung schließen könnten, bleibt die Frage offen, ob sich dahinter ein tiefer, provokativ künstlerischer Sinn oder eine unangemessen geringe Finanzierung für dieses mitreißende Stück verbirgt.

Mein Fazit: Sehenswert!

Alles in allem ist „Rette uns, Okichi!“ eine unkonventionelle kulturelle Abendveranstaltung, die mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Die Oper ist für alle Opernfans, die offen für kreative Umsetzungen und neue Herangehensweisen an Stücke mit interkulturellen, traditionsbetonten Wurzeln sind, durchaus einen Besuch wert!

Zusammenfassende Infos

Infos unter: https://www.neukoellneroper.de/play/rette-uns-okichi/

Was: „Rette uns, Okichi!“ – nach der japanischen Nationaloper „Kurofune“ (黒船 / くろふね) von Yamada Kōsaku (山田 耕筰 / やまだ こうさく)

Wo:

Neuköllner Oper
Karl-Marx-Str. 131
12043 Berlin
http://www.neukoellneroper.de/

Wann (weitere Spieltermine):

  • 11. Januar 2017, 20:00 Uhr
  • 12. Januar 2017, 20:00 Uhr
  • 13. Januar 2017, 20:00 Uhr
  • 14. Januar 2017, 20:00 Uhr

Alle Angaben ohne Gewähr!

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